Declaracio mappae

Beschreibungen einer Gitternetzkarte in Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts

Die abgebildete Karte ist in einer Handschrift der British Library (Ms. Add. 27376, fol. 188v-189r) überliefert. Die Abbildung kann auf einer Website der British Library abgerufen werden (https://www.bl.uk/collection-items/liber-secretorum-fidelium-crucis-by-marino-sanudo)

Das Projekt

Ziel des auf ein Jahr angelegten Projektes (2019) war die Erstellung einer digitalen Edition der Beschreibung einer Gitternetzkarte (declaracio mappae) des Heiligen Landes, die in vier Handschriften des 15. Jahrhunderts sowie in einer abweichenden Fassung in der Descriptio terrae sanctae des Johannes Poloner überliefert ist. Die declaracio mappae zeichnet sich aus durch die Beschreibung eines Gitternetzes, in dem die einzelnen heiligen Orte lokalisiert werden. Neu ist, dass diese Beschreibung nicht in reiner Textform ediert wird, sondern mittels der Darstellung auf einer Karte visualisiert wird. Das Projekt wurde gefördert durch die Bayerische Gleichstellungsförderung (BGF), Förderung der Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre 2018, Stipendium für den exzellenten wissenschaftlichen Nachwuchs, Ludwig-Maximilians-Universität.

See for a description of the project in English my paper „The Transmission of a ‘Declaracio Mappe Terre Sancte’ from the 15th century. Towards a Digital Edition of a Textual Description of a Grid Map“, in: M. Bauer/P. Booth/S. Fischer (eds.): To Jerusalem and Beyond: Interdisciplinary Approaches to the Study of Latin Travel Literature, c.1200-1500, Das Mittelalter. Beihefte 19, 2023

Überlieferte und nicht überlieferte Gitternetzkarten

Aus dem 14. Jahrhundert, im Zusammenhang mit der Kreuzzugsschrift Liber secretorum fidelium crucis des Venezianers Marino Sanudo, sind mehrere Palästinakarten mit diesem Gitternetz überliefert, die wahrscheinlich aus der Hand von Pietro Vesconte stammen. Diese Karten sind eine Innovation, da sie ein neuartiges Liniennetz im Kartenbild aufweisen, das in keinen früheren oder zeitgenössischen europäischen Karten zu finden ist.[1] Ein Raster von 28 Quadraten von Ost nach West und 83 von Nord nach Süd wird über Palästina gelegt. Im Text des Liber secretorum findet sich eine Beschreibung der Karte mit Verweisen auf einzelne Quadranten.

Abhängig vom Text des Liber secretorum ist die Beschreibung einer solchen Gitternetzkarte in der Descriptio terrae sanctae des Johannes Poloner aus dem 15. Jahrhundert. In der Schrift des Johannes Poloner ist die Karte selbst jedoch nicht überliefert, es wird nur auf eine Karte verwiesen. Eine Rekonstruktion der Karte, die den überlieferten Gitternetzkarten stark ähnelt, ist im Anhang der Edition von Titus Tobler abgedruckt und wird als Grundlage für die digitale Edition verwendet (Johannes Poloner, Descriptio Terrae Sanctae, hrsg. Titus Tobler, in: ders. (Hrsg), Descriptiones Terrae Sanctae ex saeculo VIII. IX. XII et XV, Leipzig 1874, 225-281).

Die declaracio mappe ist in drei Handschriften überliefert: Vaticano, BAV, Vat. lat. 3841, fol. 3r-4v, München, BSB, rar. 801, 126r-129v (geschrieben von Hartmann Schedel), Nürnberg, StB, Cent. III, 93, fol. 171r-172r. Daneben ist eine ähnliche Beschreibung in München, BSB, Clm 18736, fol. 201r-204v zu finden, die einem sonst unbekannten Magister Mauritius Parisiensis zugewiesen wird.

Von der Projektidee zur Umsetzung

Ausgangspunkt für das Projekt ist die Idee, mit neuen und innovativen Möglichkeiten zu experimentieren, lateinische Pilgertexte zu edieren. Der Fall declaracio mappae ist besonders geeignet für ein solches Experiment, da der Text nicht nach der üblichen Beschreibung eines Weges gegliedert ist, sondern sich auf Quadranten einer Gitternetzkarte bezieht.

Eine erste Frage war, wie das Rasterschema in einer digitalen Edition genutzt werden kann, obwohl in den Handschriften der Declaracio Mappae keine Karte mit Rasterschema erhalten ist. Zudem war es mir wichtig, Überlieferungsprozesse sichtbar zu machen. Daher war es mir wichtig, neben dem kritischen Apparat die Quelle (Marino Sanudo) sowie vergleichbare Texte (Johannes Poloner und die Legenden der Karte von Paulinus Venetus) darzustellen.

Weniger wichtig war mir, mit einer Georeferenzierung zu arbeiten. GIS wird häufig in Projekten zu Digital Mapping von mittelalterlichen Texte eingesetzt. Für dieses Projekt war es jedoch von untergeordneter Bedeutung und hätte das Verständnis des mittelalterlichen Textes möglicherweise verzerrt. Daher war ich entschlossen, die Probleme zu vermeiden, die bei der Benutzung von GIS auftreten können, wenn vergangene oder fiktive Landschaften kartiert werden sollen. Darüber hinaus unterscheidet sich mein Ansatz von anderen Ansätzen,[2] wie beispielsweise der Literaturgeographie schon durch die Art des zugrundeliegenden Textes, der sich bereits auf eine Karte bzw. das Rastersystem einer Karte bezieht. Da die räumliche Struktur des Textes offensichtlich ist, erübrigen sich Fragen nach dem Nutzen des Digital Mapping und der Literaturgeographie.

Beispiele für andere Ansätze sind Anthony Bale’s Karten zu Itinerarien von Pilgern nach Jerusalem und Rome,[3] das Mapping Mandeville Projekt,[4] oder andere Projekte, die mit Recogito[5] arbeiten. Die Plattform Recogito, as a platform, bietet viele für mein Projekt nützliche Optionen,[6] da es eine zoombare Karte bietet und zudem die Möglichkeit, markierte Gebiete mit on-click pop-up windows zu versehen.

Neben technischen Überlegungen war es zunächst eine zentrale Frage, welches Schema oder welche Karte die Basis für die Edition bilden sollte. Folgende Möglichkeiten kamen für mich infrage: (1) eine moderne Karte (GIS), (2) eine der mittelalterlichen überlieferten Rasterkarten, (3) ein leeres Rasterschema oder (4) oder ein rekonstruiertes Rasterschema. Ein Argument gegen die Benutzung einer modernen Karte mit Georeferenzierung (1) ist, dass moderne Karten mittelalterliche geographische Konzepte nur begrenzt darstellen können. Zudem erschien mir zu Beginn des Projekts die Nutzung einer überlieferten Rasterkarte (2) irreführend und mehr für die Edition des Textes von Marino Sanudo geeignet. Doch eine Verwendung der überlieferten Karten würde einen Zusammenhang suggerieren, der nicht der Überlieferungssituation entspricht, da die Texte, die ich edieren will, nicht mit einer Karte überliefert sind. Außerdem bin ich der Ansicht, dass eine solche Karte von dem entscheidenden Inhalt der Edition, nämlich dem Text und nicht der Karte, ablenken würde.

Um mein Projekt in der nur begrenzten Zeit von einem Jahr zu entwickeln, beschloss ich ein Rasterschema als Basis zu verwenden. Die Verwendung eines Schemas ohne Orientierung (3) schien mir ungeeignet. Daher griff ich auf eine bereits vorhandene Rekonstruktion zurück, nämlich jene von Titus Tobler,[7] die auf der Basis von Johannes Poloner’s ‘Descriptio’ und den überlieferten Sanudo-Karten erstellt wurde. Um das generelle Problem der Nutzung einer solchen Rekonstruktion zu visualisieren und hervorzuheben, erscheint die Karte zunächst verschwommen. Erst beim Einzoomen erscheinen die einzelnen Orte ohne Unschärfe. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass es mir in meiner Edition nicht darum geht, die Karte, die den Text eventuell begleitet haben könnte, zu rekonstruieren, sondern darum, darzustellen, wie der Text der Declaracio sich auf das Rasterschema bezieht.

Mit Hilfe der ITG der LMU München begann ich meine Idee zu verwirklichen. Ich verwende die Mapping-Plattform mapTiler für die zoombare Karte und Leaflet, eine Open-Source-JavaScript-Bibliothek, mit der Web-Mapping-Anwendungen und interaktive Ebenen wie Markierungen mit Popups erstellt werden, wenn man darauf klickt. Um die richtigen Daten per Mausklick wieder zu erhalten, verwende ich drei MySQL-Datenbanken: eine mit dem Text, eine mit den Koordinaten der Quadranten und einer, die den richtigen Text mit dem rechten Quadranten verbindet.


  1. P.D.A. Harvey, Medieval maps of the holy land, London 2012, 116. Für weitere Literaturhinweise siehe die Bibliographie.
  2. Cf. z.B. J. E. Taylor, C. E. Donaldson, I. N. Gregory, J. O. Butler, Mapping digitally, mapping deep: exploring digital literary geographies, in Literary Geographies 4, 2018, pp. 10–19. D. J. Bodenhamer, Narrating space and place. In Bodenhamer, D. J., Corrigan, J. and Harris, T. M. (eds.), Deep Maps and Spatial Narratives, Bloomington 2015, pp. 7–27. Peter K. Bol, What do Humanists Want? in Michael Dear, Jim Ketchum, Sarah Luria, and Douglas Richardson (eds.), GeoHumanities: Art, history, text at the edge of place, London 2011. Vgl. die Spatial-History-Project-Website: https://web.stanford.edu/group/spatialhistory/static/ und die Spatial-Humanities-Lab-Website: https://spatial.scholarslab.org/.
  3. https://www.google.com/maps/d/viewer?mid=1OQ8VhUakbdVIOmCu860px1TAGEs&ll=41.69396076870975%2C15.137159299999995&z=5.
  4. https://historiacartarum.org/john-mandeville-and-the-hereford-map-2/
  5. https://recogito.pelagios.org/; z.B. https://sarahemilybond.com/2017/02/02/the-itinerarium-egeriae-mapping-egerias-pilgrimage-on-candlemas/ oder https://recogito.pelagios.org/document/dorvm6vtatvrtt/map.
  6. Vgl. auch die Digital Mappa platform (https://www.digitalmappa.org/).
  7. Gedruckt im Anhang von “Descriptiones Terrae Sanctae ex saeculo VIII. IX. XII. et XV.”, hrsg. von Titus Tobler, 1874 [Nachdruck: Hildesheim/New York: Olms 1974].